Die Ikone der Verklärung Jesu (Mc 9,2-8)
1) In dem Text von heute werden wir eine etwas andere Leseerfahrung machen: es wird eine göttliche Lectio anhand der Ikone der Verklärung (oben) sein. In der Ostkirche werden Ikonen als Wort Gottes aufgefasst. Deshalb wird für sie die Ikone nicht gemalt, sondern von einem Ikonographen geschrieben, der sie nach monatelanger Meditation eines biblischen Textes, dem Fasten und Gebet hingegeben, auf das Holz schreibt (malt).
Die beiliegende Ikone der Verklärung ist russischer Herkunft. Sie wurde in Bethlehem im Heiligen Land erworben. Sie ist von beeindruckender Schönheit! Deshalb werden wir den Text zusammen mit einer Betrachtung der Ikone, Vers für Vers, lesen.
2) “Sechs Tage später nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes mit sich und führte sie zu einem entlegenen Ort, oben auf einem Berg, wo sie allein blieben. Dort wurde er vor ihnen verklärt.” Die Worte “sechs Tage später” stellen eine Verbindung her zum Beruf des Petrus in Cäsarea Philipp, wo er im Namen aller Jünger ausruft: “du bist der Christus” (Mc 8,29). Diese Verbindung möchte zum Ausdruck bringen, dass die Verkündigung der Augenblick der Offenbarung der Wesenheit Jesu ist.
Die drei Jünger, die der Verklärung beiwohnten – Petrus, Jakobus und Johannes – sind dieselben, die Zeugen zweier weiterer Ereignisse wurden, nämlich der Auferstehung der Tochter des Jairus (Mc 5, 21-43) und des Zeitpunktes der Agonie auf dem Ölberg (Mc 14, 32-42). Wir können sagen, dass diese drei die “Erwählten unter den Erwählten” sind, um Zeugen dieser einzigartigen Ereignisse zu werden.
Betrachten wir die Ikone, um einen jeden der drei Jünger ausfindig zu machen. Der erste, von dem wir sprechen werden, ist der Hl. Jakobus. Er ist der Jünger, der sich in der Mitte befindet und ein rotes Gewand trägt, das die Glorie des Märtyrertums versinnbildlicht. Er war der erste der zwölf, der den Märtyrertod erlitt im Jahr 42 n.Chr.. (siehe At 12,2). Der zweite Apostel, der sich rechts neben dem Hl. Jakobus befindet, ist der Hl. Petrus: sein Arm ist wie beim Sprechen ausgestreckt,denn er ist es, der sagt: “Herr, es ist gut hier zu sein, bauen wir drei Zelte; eines für dich, eines für Moses und eines für Elias.” Auch er trägt ein rotes Gewand, das den Märtyrertod versinnbildlicht. Laut Überlieferung erlitt er den Märtyrertod im Jahr 64 n.Chr. in Rom.
Der dritte Apostel ist der Hl. Johannes. Er trägt kein rotes Gewand. Er war der Einzige unter den Zwölfen, der nicht den Märtyrertod erlitt. Seine Position auf der Ikone ist besonders eigentümlich, denn er blickt auf den verklärten Jesus. Es ist eine tief kontemplative Haltung. In der Darstellung der Tiere in der Apokalypse – die sich um den Thron Gottes herum befunden (Ap 4, 6-11) und im Laufe der Zeit als die Evangelisten identifiziert wurden – ist Johannes der Adler. In alten Zeiten galt der Adler als das einzige Tier, das direkt in die Sonne blicken konnte. Somit wurde Johannes als der groβe Mystiker anerkannt, der den Blick direkt auf den verklärten Jesus richten konnte: Derjenige, der leuchtender ist als die Sonne und stets als Sonne der Gerechtigkeit gepriesen wurde. Deshalb konnte Johannes in seinem Brief feststellen: “...Gott ist Licht und in ihm gibt es keine Finsternis” (I Jo 1, 1-5).
Der hohe Berg wurde seit den Ursprüngen des Christentums als der Berg Tabor identifiziert, einer 588 m hohen Erhebung in der Ebene von Galiläa. Von dort bietet sich ein phantastischer Blick über die gesamte Region. Auf ihm befindet sich heute die Verklärungskirche,die auf Wunsch des Hl. Petrus in Form von drei Zelten erbaut wurde, nämlich dem Mittelschiff,dem Zelt Jesu,und den beiden seitlichen Kapellen, die Moses bzw. Elias gewidmet sind, und die somit eine Gruppe von drei Zelten bilden.
3) “Sein Gewand wurde sehr leuchtend, so weiβ, wie keine Wäscherin auf Erden es hätte jemals waschen können.” Dieser Vers in Verbindung mit dem letzten Satz des vorangegangenen Verses, den wir nicht kommentierten – “Dort wurde er vor ihnen verklärt” – sind das zentrale Bild der Ikone. Jesus, für einige Augenblicke, offenbart seine Identität als Sohn Gottes – die seine tiefste Wesenheit ist – und die Jünger nehmen diese Wesenheit in einem Mysterium des Lichtes wahr. Die Jünger sehen, was Jesus im Johannes-Evangelium äuβerte: “ich bin das Licht der Welt”. (Jo 8,12).
Beim Betrachten der Ikone nehmen wir wahr, dass alles in ihr Licht ausstrahlt. Es ist kein natürliches Licht wie das der Sonne, oder ein künstliches wie das einer Lampe. Es ist das Licht der Herrlichkeit Gottes. In der Verklärung öffnet sich ein Fenster des Himmels, der Ewigkeit, und wir können das Licht der ewigen Herrlichkeit hereinstrahlen sehen.
Achten wir auf zwei Arten von Lichtstrahlen, die auf der Ikone von Jesus ausstrahlen: zunächst der grüne Strahlenkreis.Es ist der Kreis der Wahrheit, der die menschlichen Verstandeskräfte erleuchtet und ihnen die Wahrheit offenbart. Jesus selbst sagt auch: “Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben” (Jo 14,6). Und er sagt auch: “Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien” (Jo 8,32). Dies ist der kontemplative Weg der Wahrheit, der die menschliche Intelligenz erleuchtet und sie vergöttlicht.
Die zweite Strahlenart wird dargestellt durch die drei rötlichen Strahlen, die in Richtung der Jünger hernieder strahlen. Diese Strahlen haben die Farbe des menschlichen Herzens und gieβen die göttliche Liebe in das Herz der Jünger hinein. Dies ist der kontemplative Weg des Herzens, der das menschliche Herz vergöttlicht. Wir können sogar einen weiteren Symbolismus hierzu bemerken, wo diese drei Strahlen die drei göttlichen Tugenden darstellen: den Glauben, die Hoffnung und die Liebe.
Wie wir auf dieser Ikone bemerken, können wir in das tiefe Mysterium Gottes, das in Jesus offenbar wurde, durch die zwei groβen, kontemplativen Wege eintauchen, die sich nicht widersprechen, sondern sich ergänzen, nämlich den Weg der Wahrheit und den Weg der Liebe. Die Komplementarität ergibt sich, denn die Liebe schützt die menschliche Intelligenz vor der Ideologie, die eine realitätsfremde Theorie ist. Und die Wahrheit schützt das menschliche Herz vor dem Sentimentalismus, der eine Deformation der Liebe ist.
4) “Es erschienen ihnen Elias und Moses mit Jesus sprechend.” In diesem Augenblick, in dem sich das Fenster des Himmels öffnet, erscheinen zwei der Hauptfiguren des Alten Testamentes, um die volle Offenbarung Jesu zu bestätigen und von ihr Zeugnis abzulegen. Auf der Ikone bemerken wir, dass sich die Verklärung zwar auf dem Berg Tabor zuträgt, doch Moses und Elias auf anderen Bergen dargestellt werden. Dies ist eine Form des spirituellen Verständnisses der heiligen Schrift: es soll uns gezeigt werden, dass jeder von ihnen Offenbarungen Gottes auf einem Berg erlebte, doch nicht auf dem Berg Tabor, sondern auf anderen Bergen.
Moses hält auf der Ikone z.B. ein Buch. Dieses stellt das Gesetz dar, das Moses auf dem Berg Sinai erhielt (Ex 34). Moses ist mit geneigtem Haupt zu sehen und zeigt Jesus das Gesetzesbuch, darauf verweisend, dass sich in Jesus das Gesetz verwirklicht und erfüllt hat. Auf der anderen Seite befindet sich der Prophet Elias, der ebenfalls zum Berg Sinai (Horeb) pilgerte und dort eine tiefe Begegnung mit Gott hatte, die seine Berufung zum Propheten bestätigt (siehe I Rs 19). Er deutet mit der Hand auf Jesus hin und ist mit geneigtem Haupt zu sehen, darauf hinweisend, dass sich in Jesus sämtliche Prophezeiungen verwirklicht haben.
All dies ist in ein tiefes Gespräch Moseund Elias mit Jesus eingebunden. Im Lukas-Evangelium wird der Inhalt dieses Gespräches offenbart: “Sie sprachen von seinem Exodos, der sich in Jerusalem zutragen sollte” (Lc 9,31). In anderen Worten, sie sprachen über die Passion, den Tod und die Auferstehung Jesu:
“Petrus ergriff sodann das Wort und sagte zu Jesus: ‘Rabi, es ist gut, hier zu bleiben. Wir errichten drei Zelte, eines für dich, eines für Moses und eines für Elias. In Wahrheit wusste er nicht, was er sagen sollte, denn sie waren von Furcht ergriffen.” Die Jünger, die auf der Ikone zu Boden gestürzt dargestellt werden, offenbaren den tiefen Gegensatz, den sie angesichts derart groβartiger Offenbarung erlebten: im ersten Augenblick Furcht, was der Begegnung mit der übersinnlichen Welt zu eigen ist. Wie wir in der Bibel sehen, geschieht dies mit allen, die in irgendeiner Weise eine Gottesbegegnung erlebten; sodann haben sie ein Erlebnis von Glückseligkeit, Frieden und Freude als eine Form der Anteilnahme an der Ewigkeit. Dies lässt Petrus die Worte sprechen: “Herr, es ist gut, hier zu sein”.
Der Wunsch des Petrus, drei Zelte zu errichten, kann in einer tieferen Art verstanden werden, wenn man auf das Versprechen Gottes blickt, dass er sein Zelt mitten unter seinem Volk in der messianischen Zeit errichten werde. Petrus, der bereits Jesus als den Christus erkannt hatte, hatte die Intuition, dass die messianische Zeit gekommen war (siehe Buch “Jesus aus Nazareth” 1. Teil – Benedikt XVI). Petrus verstand somit, dass im Augenblick der Verklärung sich zutrug, was in der wörtlichen Übersetzung des Prologs des Johannes-Evangeliums geschrieben steht: “Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit” (Jo 1,14)
Es kam sodann eine Wolke hernieder und umhüllte sie mit ihrem Schatten. Und aus der Wolke kam eine Stimme: “Dies ist mein geliebter Sohn. Hört auf ihn!” Dies ist der Höhepunkt der in dieser Szene sich zutragenden Ereignisse. Es ist das Wort des Vaters, das allem, was geschieht, Sinn verleiht, wenn er sagt: “Dies ist mein geliebter Sohn. Hört auf ihn!” Sämtliche Fakten, Worte und Ereignisse dienen als Rahmen dafür, dass das Wort des Vaters verstanden und mit der ihm gebührenden Kraft aufgenommen werden kann. Dies ist die zentrale Botschaft: Jesus ist die Offenbarung in ihrer Fülle; der geliebte Sohn des Vaters; in ihm, durch ihn und für ihn existieren alle Dinge. Wir können nur Jesus tief ergründen, wenn wirseine ewige Beziehung der Liebe zum Vater betrachten. Und dies geschieht, wenn wir auf die Worte Jesu hören und erkennen, dass er Gott ist, der Mensch wurde und mitten unter uns wohnte.
In der Verklärungsbewegung werden wir dazu aufgerufen, diese Erfahrung der Verklärung Jesu jedesmal zu machen, wenn wir durch das Gebet, die Lektüre des Wortes Gottes bzw. durch die Lithurgie das Antlitz Gottes suchen. Wir werden dazu aufgerufen, in tiefem, intensivem und kontemplativem Gebet zu leben, das unser Leben verklären möge. Damit durch dieses Gebet das Licht des Christus, das wir in unseren Verstandes- und in unseren Herzenskräften empfangen, unser Denken und unser Handeln erleuchten und somit auf alle, die uns umgeben, übergreifen kann.
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